top of page

Pixel-Geschichten aus dem Bilderparadies


Wer ein großes Bildarchiv hat wie unser Verein, der braucht auch umfangreiche Software, um der Pixelflut Herr zu werden. Die analogen Fotokisten möchten digitalisiert werden, verschlagwortet und sortiert sein. Das passiert in unserem Verein unter der fachlichen Obhut von Klaus Onnich, der den Überblick hat. Kommen dann größere Mengen Negative und/oder Dias aus verflossenen Trambahntagen rein, entweder aus Nachlässen oder von Vereinsmitgliedern, die ihre Sammlungen dem Verein zur Nutzung überlassen, kommt die zeitraubende Arbeit des Digitalisierens & der Bearbeitung. Kleine Stapel können wir selbst abarbeiten, größere Mengen wie der aktuelle Auftrag von über 18.000 Negativen macht eine Firma für uns. Und dann beginnt die Arbeit: analoge Negative haben eine magische Anziehungskraft für Staub, Fuseln und Kratzer aller Güte.

Der Zauberstab im Köcher der Grafiker ist "Photoshop" und wenn man wie ich seit 20 Jahren beruflich mit diesem Programm arbeitet, dann kennt man die Regel, "glaube keinem Bild, das du nicht selber bearbeitet hast". In diesem Tool für Pixel-Akrobaten ist fast alles möglich, da wir aber die Guten sind, benutzen wir es zum Herausretuschieren der Bildfehler, Scan-Fehler und den Belichtungsausgleich.

Ein historisch durchaus bedeutsames Bild wie dieses fordert den Bediener heraus. Das Original weist fast alle Fehler auf, die es gibt: ungleiche Helligkeits-Verteilung auf dem Negativ, eine dreckige Linse, die Licht-Überstrahlungen produziert und dann die Belichtungsautomatik überfordert/fehlleitet. Hier muss man in mehreren Schritten die Belichtung in abgegrenzten Bereichen gefühlvoll nachziehen.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen und wandert auch gleich auf den Archivserver.

Auch um dieses Bild wäre es schade, daher in Photoshop importiert...

...und mit dem Auswahl-Modul verschiedene Bildausschnitte individuell in der Belichtungskurve anpassen. Grundvoraussetzung ist natürlich immer, dass die Digitalisierung diesen Arbeitsraum überhaupt bietet und nicht das Rauschen oder die Körnung des Bildes zu weit in den Vordergrund tritt.

Analoge Fotos, egal ob Dia-Positiv oder Negativ, haben einen großen Belichtungsspielraum, der in der digitalen Fotografie erst durch das RAW-Format wieder erreicht wurde. Allerdings sehe ich in unserer digitalen Nachbearbeitung der Nativ-Negativ-Scans eine ideale Ergänzung, um analoge Schwachstellen auszubügeln. Ich habe selbst 40 Jahre analog fotografiert und Probleme wie Plan-Lage des Negativs, Lichteinfall, keine Stabilisierung und die vorgegebene Filmempfindlichkeit für mindestens die nächsten 36 Bilder aus der Filmpatrone vermisse ich nicht. Von der Farbtemperatur wollen wir hier gar nicht reden.

Zudem kommt die bittere Erkenntnis, dass ein Blitzwürfel die Ackermannschleife nicht komplett schattenfrei ausleuchtet. Zudem kaum zu glauben, wie viele Sterne am Himmel sind, Diese weißen Staubkörner sind eine Mordsarbeit, von 10 bis über 100 pro Bild und in verschiedenen Größen sind zu retuschieren. Da diese Staubkörner durch die statische Aufladung der Filmstreifen angezogen werden und auf beiden Seiten des Negativs sitzen, sind sie beim Scannen kaum zu eliminieren, auch wenn manche Scanner das vorgaukeln.

Auch das Problem der Fuseln, Haare und Schrammen aller Art fehlen mir bei der Digital-Fotografie nicht unbedingt. Man wird bei Bildern wie diesem in die analoge Zeit zurück-gebeamt. Keine Ahnung, wie dieser Dreck auf das Negativ kam, - vielleicht beim Abholen im Drogeriemarkt an einem Regentag an der Kasse nochmal auf den Boden gefallen, wir wissen es nicht, wir wissen nur: das muss weg!

Photoshop kann immer nur das, was der Operateur auch kann: es gibt keine Taste "Dreck weg". Hier geht es wirklich nur mit Pixel-Dutzend um Pixeldutzend mit der Stempelfunktion ähnliche benachbarte Bildpartien einzukopieren...das dauerte bei diesem Bild gut 5 Minuten.

Ist das eine Fälschung, weil man nicht abgebildete Bildteile ersetzt mit anderen? Ich denke, es entstellt oder verändert ja nicht den Bildinhalt, - ganz im Gegenteil, ich tausche ja keine Liniennummern aus oder Fahrergesichter. Wir sind die Guten.

Eine weitere Analog-Fotografie Problemzone war der Fokus. Lange Zeit gab es gar keinen Autofokus. Der Siegeszug der etwas klobigen Spiegelreflex-Kameras begann, dort konnte man exakt sehen, was und wie man was aufnahm incl. der Abbildung durch die verwendeten Objektive (Reflexe, Gegenlicht). Bei den reisetauglichen und kleineren Kompaktkameras waren die Parallel-Sucher nicht die ausgefeiltesten und die aufkommenden Pocketkameras fokussierten über das Bild alles, was kontrastreich war, also das Grasbüschel im Vordergrund, während der R-Wagen im Hintergrund unscharf durch die Landen zog. Es war nicht überprüfbar, was aufgenommen wurde, die Überraschung kam dann beim Abholen der Abzüge in der Drogerie oder Fotogeschäft. Dabei kam die nächste Schwachstelle zu Tage: die Qualität der Abzüge, die Tagesform des Papierbilder-Belichters und der Bildbeschnitt der Ausschnitte. Ja, die gute alte Zeit des Silberchlorid, Silberbromid und Silberiodid, die ja auch nach der Aufnahme lebendig bleiben und Farben auf den Negativen/Positiven verändern und verblassen lassen. Dazu kommt natürlich auch die wohltemperierte Lagerung, - 10 bis 24 Grad trocken sagt man, wobei chemische Einflüsse am Lagerort auch eine Rolle spielen, von der Möbelpolitur bis zu verschiedenen Gasen in der Luft, die der Emulsion zusetzen.


Doch zurück zu unseren im angesagten Homeoffice bearbeiten Negativen und deren Digitalisierungsgeschichten.

Wir müssen heute nicht Digital gegen Analog ausspielen, alles war in seiner Zeit up to date, wie es die Pferdebahn über Dampftram bis Elektrische war. Und dennoch sehen wir auch heute noch gerne eine Dampfbahn, - und ich fotografiere auch heute noch mit meiner analogen Mamiya 645 in 6x6 (12 Aufnahmen/Film) und meiner Fujica 960 II in 6x9 (8 Aufnahmen/Film) ausschließlich in schwarz-weiß auf Ilford-Filme und schätze die erlebte Entschleunigung, wenn ich mit diesen Kameras auf Motivsuche bin und fotografiere, nicht knipse.


Nochmal zum Nachrechnen: bei 7000 Trambahnbildern aus den erwähnten Auftrag, jedes Bild 2 Minute im Schnitt Bearbeitungszeit = über 240 Stunden = über 2 Monate 8 Stunden/Tag, - falls es jemanden interessiert, wo ich die letzten 2 Monate gesteckt habe. Ich habe es gerne gemacht!

Comments


Empfohlene Einträge
Aktuelle Einträge
Archiv
Schlagwörter
Folgen Sie uns!
  • Instagram Social Icon
bottom of page